J.Hellmundt über die Trilogie "Krieg"
Die Berliner Künstlerin Henriette Müller stellt sich in ihrer Trilogie "Krieg" (2015) die Frage nach der menschlichen Identität. Jedes der drei Bilder entsteht in einem neuen Prozess der Auseinandersetzung mit dem Dargestellten. Das Leinen für die Bilder wurde mit flüssigem Rost getränkt und über längere Zeit in der Erde vergraben. Die teilweise zerstörten Leinwände wurden als Bildträger der Trilogie eingearbeitet.
Das erste Bild „Der Alptraum“ stellt einen mit rotem Schleier umhüllten männlichen Kopf in Frontalansicht dar. In der linken Hälfte des Gesichts ist das Auge als Akzent der Komposition zu sehen. Die rechte Hälfte des schmalen Gesichts fließt im Schatten des roten Schleiers in die Form eines Schädels hinüber.
Das Bild in der Mitte der Trilogie ist das Porträt eines jungen Mannes in Profildarstellung. Die von einem Basecap verdeckten Augen des Porträtierten starren regungslos in die Ferne. Die Mimik bleibt ohne charakteristische Merkmale und betont die bedrückende Verschlossenheit des Porträtierten. Die zarten, linearen Konturen und die im Hintergrund verschwommenen Striche des Kopfes verleihen eine bündige Transparenz der Komposition. Die Plastizität des Gesichts entsteht durch die Farbigkeit der Rost und Erde enthaltenen Patina der Leinwand. Die Bildinschrift im linken unteren Bereich bezeichnet den Titel des Bildes: „Zurück aus dem Krieg“.
Der dritte Teil der Trilogie mit dem Titel „Erstes Grün“ stellt eine abstrakte schneebedeckte Landschaft dar. Die Reinheit der Winterlandschaft wird durch eine netzartige Struktur der Zusammensetzung der Rostfarbe unterbrochen. Asymmetrische Formen fließen in homogene grüne Flächen ins Bild.
Die Trilogie vermittelt den Eindruck einer Collage, weil Henriette Müller sich in einem Bereich zwischen abstrakter und figürlicher Malerei bewegt. Der Prozess der Bildentstehung spielt in der Wirkung der Bilder eine wichtige Rolle. So zeigt sie dem Betrachter, dass das verwendete Material als Materie und nicht als Zufallsprozess im Kontext wirken kann.
Henriette Müller versucht den Krieg in einem sozialgeschichtlichen Kontext zu zeigen, indem sie die Präsenz der Gewalt, die in alle Lebensbereiche des Menschen hineinwirkt, akzentuiert. Sie blickt ins Innere des Protagonisten und lässt historische Zusammenhänge ausblenden. Der Mensch als Gewalt Ausübender und unter der Gewalt Leidender rückt in den Mittelpunkt der Trilogie. Ein Heldenbild oder eine Historienmalerei ist hier nicht zu finden. Das Auge des Soldaten, gefangen im eigenen Alptraum der blutigen Bedrängnis, bringt den Schmerz zum Ausdruck. In den Vordergrund der Bilder rückt die radikale Geste der Einwirkung des Materials in das Konzept der Trilogie. Die Künstlerin besteht nicht nur auf der Anwendung jenes Materials, sondern sie lässt das Material als Beteiligten in die künstlerische Fiktion einfließen: der Rost wirkt schon vor der Entstehung des Bildes, „vergraben“ in der Erde. Die fragile Profildarstellung des Soldaten schwebt im Raum des Bildes und ist durch den Rost und die Erde farbig strukturiert.
Nach der christlichen Ikonographie ist der Rost Symbol der allmählichen Zersetzung in Verbindung mit dem menschlichen Dasein. Die Beziehung zur Erde wird im dritten Bild der Trilogie entfaltet und verdeutlicht: die durch den Rost befleckte weiße Landschaft charakterisiert die Zerstörung von Natur, Lebensräumen und Existenz. Diese Fortführung der Ikonographie mit anderen Mitteln formt das Kriegsgedächtnis und verleiht dem Material einen wesentlichen Stellenwert.
Henriette Müller hebt vorerst die Identität des Soldaten aus dem Inneren seines Seins hervor, dann führt sie die Vereinsamung aus dem Standpunkt des Leidens fort. Die hervorgehobene räumliche Situation, die ohne Zeit entsteht, leitet den Blick des Betrachters in eine verborgene, teilweise nicht zugängliche Innenwelt des Protagonisten.
Juliana Hellmundt, Kunsthistorikerin