Spannende Musik-Mischung verschiedener Stile

Murrhardt (eke) – so ein vielseitiges, modernes und unkonventionelles Hörerlebnis gab es wohl noch nie an einem Sonntagabend in der Stadtkirche zu genießen. Denn das fulminante Eröffnungskonzert des 8.Murrhardter Orgelsommers der evangelischen Kirchenmusik war eine durchweg faszinierende CrossOver-Klangreise mit einer spannenden und grenzüberschreitenden Musik-Mischung ganz unterschiedlicher Stile.


Dabei erklangen Kompositionen des 20. Jahrhunderts und der Gegenwart. Auch die Zusammensetzung der ausführenden Musiker was spektakulär: Das Berliner Jazz-Duo Henriette Müller (Sopran- und Tenorsaxophon) und Simon Pauli (E-Bass) bildeten mit der Sopranistin Gundula Bernhold (Stimme) und Kantor Gottfried Mayer (Orgel) eine Vielzahl ungewöhnlicher Kombinationen, aus denen sich eine Fülle extravaganter Klangfarben ergaben. Gemeinsam hatten sie seit Samstag Nachmittag ein Programm voller Überraschungen entwickelt, das eindrucksvoll bewies, wie gut anscheinend unvereinbar gegensätzliche Musikstile und -elemente zu einem meist harmonischen und melodischen Ganzen verbunden werden können.


Die Kombination von Orgel und Saxophon ist das Thema des 8. Murrhardter Orgelsommers. Dement- sprechend spielte, das vor allem im Jazz und in der populären Musik bedeutende Instrument, eine wichtige Rolle. Auch kamen mehrere Eigenkompositionen der 1961 geborenen Saxophonvirtuosin Henriette Müller zur Aufführung, die sich durch besonders fantasievolle Verschmelzungen von ganz unterschiedlichen, fremdartigen und bekannten Stilelementen auszeichneten....
„Klassische“ Musik des 20. Jahrhunderts in Form einer Zwölftonreihe und zwei Bluestonreihen waren die Basis von Henriette Müllers Impression „Two Shades Of Blue“ (Zwei Blau-Schattierungen) für Sopransaxophon und Bass, in der tiefe und intensive Gefühle „klassische“ und jazzartig zum Ausdruck kamen. In scharfem Kontrast zu konventionellen Vertonungen stand ihre Version des 100. Psalms “Omnis Terra“ (Jauchzet dem Herrn alle Welt) für Mezzosopran, Sopransaxophon und Orgel. Angesichts der tristen Wirklichkeit des aktuellen Zustandes der Welt erklang zunächst ein schweres, seufzendes Klagelied in lateinischer Sprache, dann ein stimmungsvolles, bewegtes Spiritual mit englischem Text.


Eher traditionell wirkten das Benedictus und das Agnus Dei aus der Missa Adventus et Quadragesimae für Stimme und Orgel von Petr Eben (geboren 1929): Feierlich strahlend und himmelwärts strebend klang das gregorianisch inspirierte Benedictus, dagegen war das Agnus Dei ein eindringlicher, verzweifelter Ruf aus der Tiefe mit dem Fortissimo-Höhepunkt auf „Dona nobis pacem“(gib und Frieden). Im „Alleluja“ für Stimme, Bass und Orgel aus der 1940 geschaffenen Messe pour le Jour de a la Paix hat André Jolivet (1905-1974) seine Eindrücke vom „Blitzkrieg“ Deutschlands gegen Frankreich in packender symbolischer Tonsprache verarbeit: Während die Wehrmacht, dargestellt durch bedrohliches Staccato von Orgel und Bass, immer weiter vorrückte, leistete das französische Volk mit dem Mut der Verzweiflung tapfer Widerstand, ausgedrückt durch den anklagend durchdringenden „Alleluja“-Gesang, der den Kriegslärm übertönte.


Melancholisch, aber auch expressiv wirkte die bluesartige, gefühlsstarke Klangfantasie „Memories Of A Swan Song“ für Sopransaxophon, Bass und Orgel mit spannungsreichen „Dialogen“ zwischen den Instrumenten. Ein Spektrum musikalischer Ideen und Klangfarben entfaltete sich beim „Gloria“ aus der Messe grégorienne du mariage von Jehan Alain (1911-1940), einer Improvisation für Stimme, Saxophon und Orgel: Ausgangspunkt war die von der Stimme vorgetragene gregorianische Melodie, und bei der Improvisation inspirierten sich die Sängerin und die Musiker gegenseitig zu immer neuen Klangbildern. Stimme, Tenorsaxophon und Bass bildeten eine Einheit bei der melodischen, ruhigen und stimmungsvollen Komposition „Illusion“ von Henriette Müller, deren Text über die Selbsterkenntnis der wahren Natur und Vergänglichkeit des Menschen sie selbst verfasst hat und der ein Zitat des buddhistischen Meister Padmasabhava enthält.

Raffinierte, unheimlich wirkende Klangeffekte des E-Basses untermalten das temperamentvolle Spiel des Sopransaxophons bei Henriette Müllers atmosphärischem Stück „Snake Dance“, das mit arabischen und orientalischen Klängen eine Schlangenbeschwörung beschrieb. Und im abschließenden „Floating“, ebenfalls von der Saxophonistin kreiert, schilderten alle vier Künstler mit Stimme, Sopransaxophon, Bass und Orgel in vielgestaltigen Emotionen, Klängen und Harmonien das Schwimmen und Dahintreiben des Menschen im Strom des Lebens und des Schicksals.
Erfreulich zahlreiche Besucher waren zu diesem Konzert in der Stadtkirche gekommen: Sie hatten den Mut, sich auf diese mitreißende „Gratwanderung“ zwischen vertrauten und exotischen musikalischen und kulturellen Welten zu begeben – und war schließlich ganz entzückt von dem, was sie da zu hören bekamen. So honorierten sie die virtuosen und brillanten Darbietungen der vier ausführenden Künstler mit starkem und ausgiebigem Applaus und wären hoch erfreut über eine Zugabe gewesen.