Virtuosität, die innere Saiten zum Klingen bringt
Kirchheim. Musik ist die ideale Form, um Gefühle auszudrücken. Doch dazu gehört zum einen die virtuose Beherrschung eines Instrumentes und zum anderen Kompositionen, die von einer inneren Inspiration getragen werden. Henriette Müller (Sopransaxofon und Tenorsaxofon) und Simon Pauli (E-Bass) schufen diese einzigartige Klangatmosphäre, die den Zuschauer, der sich auf das Wagnis einer inneren Klangreise einlässt, nicht unberührt lässt.
Musikalische Kostbarkeiten, Pretiosen der besonderen Art, das alles fern jeder kommerzieller Musikanbiederei, erklangen und entfalteten ihre Zaubertöne in der großartigen Akustik des Gottesdienstraumes der Auferstehungskirche. Zelebriert wurden sie von Henriette Müller und Simon Pauli. Henriette Müller beherrscht nicht nur virtuos ihr Instrument, sie hat auch musikalisch etwas mitzuteilen, das einen aufrüttelt, zuweilen elektrisiert, aber auch genießend hinterher lauschen lässt. Jazz im Kammermusikformat vom Feinsten. Nie zu laut und immer mit Gefühl für eine Korrespondenz zum Zuhörer und das alles ohne performatorische Verrenkungen.
Dabei lässt sich Henriette Müller mit ihren Kompositionen in keinen Stilrahmen einzwängen. 1994 machte sie ihr Master-Diplom an der Manhattan School of Music im Jazz. Mit ihrer Musik bewegt sie sich irgendwo zwischen avantgardistischem Jazz und modern Music, aber immer auf der Suche nach neuen differenzierten Klangwelten. Stücke mit elegischen zarten Tönen wie in "Ein heiteres Gemüt" wechselten sich ab mit Kompositionen einer eruptiven atemberaubenden Spielweise, pulsierender Melodieabläufe und rhythmischer Staccatoklänge, so in "Allegria ma non senza tristezza". Tänzerisch dagegen entfaltete sich in "A little cuckoo" eine wunderschöne tangoselige Melodie. Die "Three Dances for Soprano Saxophone" brillierten durch ihre beschwingten Ecksätze und ihren nachdenklichen, melancholischen Mittelteil.
Immer sensibel begleitet wurde sie von Simon Pauli. Dieser ist seit 1986 als freischaffender Bassist, Komponist und Arrangeur in Berlin tätig. Das ist kein heißblütiger Künstler, mit großem Tönespektakel oder rasenden Akkordkaskaden. Sein Spiel ist immer dezent, zurückhaltend. So tupfte er in "Weich und biegsam" die Töne wie Wassertropfen und reihte sie auf zu filigranen Perlenketten. In "Letting go" dann sein eindrucksvolles Solo. Über schwebenden Akkordklängen im kathedralen Raumklang erhob sich hymnusartig, in minimalen Veränderungen fortschreitend, die Melodieführung. Ungewöhnliche Saitenanrisse verwandelten in "Snake dance" den Bass selbst zur zischelnden Schlange.
Gekonnt nahm das Saxofon die Bewegungen auf und im dialogisierenden, korrespondierenden Wettstreit, beherrscht von Breaks und abenteuerlichen Rhythmusverflechtungen, vereinten sie sich am Ende zur glücklichen Domestizierung des Reptils.
Höhepunkt dann die "Silbernen Lachtränen". So auch der Programmtitel des Abends. Es sind die Sterne der Nacht, glitzernd und strahlend vereint, das Lachen und Weinen. Mal heiter und übermütig, dann wieder leise und melancholisch, so entfaltete sich dann auch die Komposition. Ungewöhnliche Akkordklänge im Bass öffneten kosmische Räume, in denen das Saxofon die Sternenspuren nachzeichnete. Im Meer-Frieden oder - anders interpretiert - in mehr-Frieden schwang das Saxofon in weiten Melodiebögen aus, um dann nach verträumten Klängen laut aufschreiend die Friedlosigkeit einer Welt anzuklagen. Hoffnungsvoll mündete die Melodie dann in einen gemeinsamen Unisonoklang. Beziehungsreich zu den gesamten Kompositionen endete der Abend mit dem Stück "Illusion". Die Botschaft lautete: Nichts ist trügerischer als die Sicherheit. Das ist auch ein Kennzeichen dieser Musik: keine Stilsicherheit, keine musikalischen Klischees, dagegen Mut zum experimentellen Ausprobieren.
Einzige kritische Anmerkung am Rande: Die elektronische Verstärkung des E-Basses verdeckte doch zuweilen die Klarheit und Transparenz des Saxofons. Mit einer Kontrabassbegleitung könnten manche Stücke unter Umständen eine noch größere akustische Tiefe bekommen. Die Zuschauer dankten mit großem Applaus für eine musikalische Lyrik, die zum Nachdenken und zum Genießen gleichermaßen eingeladen hatte.Die Künstler revanchierten sich mit einer Zugabe über eine musikalische Erinnerung an "West 25th", die einstige Wohnstatt der Künstlerin in New York.